Ab zehn Jahren
Kirsten Boie: Der Junge, der Gedanken lesen konnte.
Ein Friedhofskrimi
Bereits der Titel deutet die Vielschichtigkeit dieses Romans an, der Krimi, Fantasy und Familiengeschichte verbindet und im multikulturellen urbanen Milieu ansiedelt. An einem „glutheiß gleißenden Sommertag“ sucht Valentin auf dem Friedhof Abkühlung und begegnet prompt einigen skurrilen Figuren: Den Schilinskys, die ihren Schrebergarten inmitten der Gräber aufgezogen haben oder dem herzlichen Friedhofsgärtner. Aufgrund krimineller Ereignisse beschließt Valentin, sich als Detektiv zu betätigen. Doch anstelle von technischem CSI-Equipment für effektive Ermittlungsarbeit erlaubt Kirsten Boie ihrem Protagonisten Gedanken lesen zu können – und findet damit eine kreative Lösung für die Legitimation der detektivischen Kompetenzen ihrer kindlichen Figur, die die Frage „Ist das realistisch?“ obsolet macht. Sie erlaubt Valentin nicht nur dem Verbrechen, sondern auch den seelischen Befindlichkeiten seiner Freund*innen und Familie auf die Spur zu kommen und das Genre der Kriminalliteratur selbst-ironisch zu reflektieren.
Ill. v. Regina Kehn.
Oetinger 2012.
318 S.
Roald Dahl: Matilda
Die satirisch-skurrile Geschichte von der hochtalentierten Matilda, die sich angesichts der Vernachlässigung in ihrem trostlosen Elternhaus selbst das Lesen beibringt und sich schon als Vierjährige mit Leichtigkeit und Genuss durch die Werke von Dickens, Hemingway, Austen und Co arbeitet, ist selbst gut 30 Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen noch nicht in die Jahre gekommen. Gemeinsam mit den gewitzt-pointierten Illustrationen von Quentin Blake zeichnet darin eine wendige Erzählerstimme die liebenswerte, verschmitzte Matilda als Tochter eines betrügerischen, stumpfsinnigen Gebrauchtwagenhändlers und dessen nicht weniger egozentrischer Frau, die ihren Antagonist*innen wohlverdiente Streiche spielt. Der typisch Dahl’sche überzeichnete Humor lässt die Leser*innen dabei mehr als einmal über das phantastisch anmutende Geschehen, die Unbeschwertheit der Protagonistin und die herrlich überbordende Figurendarstellung wie jene der klobigen, tyrannischen Schuldirektorin Frau Knüppelkuh oder des zierlichen, sanften Fräulein Honig schmunzeln. Ein Lesegenuss für Jung und Alt!
Ill. v. Quentin Blake.
Aus dem Eng. v. Sybil Gräfin Schönfeldt.
Rowohlt 2001.
248 S.
Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und die Tieferschatten
Emil und die Detektive war gestern. Aus der Schumannstraße 15 wird die Dieffe 93 und der brave Streber wird vom tiefbegabten Rico abgelöst. Für einen wie ihn, der rechts und links irgendwie nicht auseinanderhalten und schon gar keinen Stadtplan lesen kann, ist es gar nicht so leicht, einem Entführer auf die Spur zu kommen. Mann, Mann, Mann. Da hilft es auch nichts, ein so cleveres Kerlchen wie Oskar kennenzulernen, denn schon bald ist Oskar selbst Opfer des Entführers Mister 2000, dem er eigentlich das erpresserische Handwerk legen wollte. Da gilt es für Rico trotz all seiner Schwächen gehörig Stärken zu mobilisieren. Mobilisieren: etwas in Bewegung bringen. So hätte Rico es in seinem persönlichen Wörterbuch formuliert, das er als enthusiastischer Ich-Erzähler seinem am Computer verfassten Tagebuch (Orthografie: Heißt Recht-schreibung in kompliziert.) handschriftlich hinzufügt. Mann, Mann, Mann. Als außergewöhnlich offenherzig verfahrender Erzähler vermag Rico trotz persönlicher Langsamkeit gehörig Drive in die sich ohnehin schon überschlagenden Ereignisse zu bringen… Wenn Andreas Steinhöfel dann auch noch selbst vorliest (die Hörbuchversion ist bei Silberfisch erschienen), kann man nur sagen: Kein Fusel!
Ill. v. Peter Schössow.
Carlsen 2008.
220 S.
Anna Woltz: Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess
Eine Ferienwoche auf einer Insel – wo andere unbeschwerten Urlaub am Strand verbringen, spinnt der zehnjährige Samuel seine als seltsam geltenden Gedanken und Fragen, die in seiner Familie zunächst nur wenig Resonanz finden: Fand der letzte Dinosaurier es schlimm zu sterben? Warum müssen die letzten Jahre im Leben so blöd sein? Doch als er die etwas ältere, selbstbewusste Tess kennenlernt, steht plötzlich ein ganz anderes Thema im Mittelpunkt: Deren Suche nach ihrem Vater. Ohne ihm zu verraten, wer sie ist, lädt Tess ihren nichtsahnenden Vater in das Ferienhaus ihrer Mutter ein – sie möchte ihn schließlich erst kennenlernen, bevor sie sich entscheidet, ob sie einen Vater in ihrem Leben will… Die empathische Erzählweise der niederländischen Autorin findet in Regina Kehns Illustrationen eine geniale Entsprechung: Mit Gespür für Symbolik, aber auch für Gegenständlichkeit, greifen sie die jeweiligen Themen auf und führen sie mal dynamisch-spielerisch, mal sinnbildlich-philosophierend weiter. Und so ist alles Seltsame letztlich kein Problem, sondern liebenswerte Besonderheit.
Ill. v. Regina Kehn.
Aus dem Niederl. v. Andrea Kluitmann.
Carlsen 2018.
174 S.
Anna Woltz: Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte
Felicia, genannt Fitz, hat einen Gips, obwohl sie gar nicht verletzt ist, und ihre kleine Schwester Bente kurzzeitig nur neun Fingerkuppen. Nach einem winterlichen Fahrradunfall mit Papa muss die Familie ins Spital und Fitz darf nur mit, weil sie über ihrem Gesicht, das sie mit Permanentmarker mit einem angriffslustigen Kommentar über die erst kürzliche Scheidung ihrer Eltern bemalt hat, eine geborgte Tigermaske trägt. In diesem Aufzug begibt sie sich, während ihre Schwester medizinisch versorgt wird, auf einen Streifzug durch das Krankenhaus, um mit ihrem Kummer und ihrer Enttäuschung, mit ihrer Ratlosigkeit und Wut über die familiäre Situation für sich zu sein. Im Verlauf dieses einen erzählten Tages skizziert die niederländische Autorin, die für „Gips“ mit dem >>>Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis der Deutschen Bischofskonferenz ausgezeichnet wurde, eine liebenswürdige, durch und durch pessimistische Figur, die durch neue Freund*innen und den ersten Schnee mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus umgepolt werden kann. Sie selbst und die charismatischen Nebenfiguren zeigen, dass ein Krankenhaus nicht immer nur düster und grau sein muss…
Aus dem Niederl. v. Andrea Kluitmann.
Carlsen 2019.
176 S.
Cornelia Funke: Herr der Diebe
Detektivstory trifft auf venezianisches Märchen: Sechs Kinder – darunter der 12-jährige Prosper und der 5-jährige Bo –, die alle kein richtiges Elternhaus mehr haben, versuchen sich im spätherbstlichen Venedig durchzuschlagen. Über sie hält Scipio, der „Herr der Diebe“, seine vermeintlich schützende Hand. Er selbst, kaum älter als die sechsköpfige Kinderbande, die in einem verlassenen Kino Unterschlupf findet, lässt seine eigene Herkunft im Schatten, versorgt seine Schützlinge aber mit Diebesgut, womit sie sich über Wasser halten können. Venedig mit seinen verwinkelten Gassen bietet den perfekten Schauplatz für das Versteckspiel zwischen den Kindern und dem schrulligen Detektiv Viktor Getz, der von Prospers und Bos Tante beauftragt wurde, Bo zu finden und Prosper ins Waisenhaus zu verfrachten. Auf der abenteuerlichen Suche nach einem seltsamen Holzflügel, der den Kindern finanziell aus Klemme helfen soll und der zu einem sagenumwobenen Karussell gehört, verschmelzen Realität und Phantastik miteinander. Durchsetzt wird der Text immer wieder durch italienische Vokabel, die im angehängten Glossar erklärt werden, mit Hilfe derer der Charme der Lagunenstadt noch untermalt wird.
Ill. v. Maximilian Meinzold.
Dressler 2018.
388 S.
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