Ausgewählte Winterbücher
Isabel Pin: Du nicht!
Eines Tages taucht auf dem Pinguineis ein anderes Wesen auf. Die drei Pinguinkinder benennen ihn nach der Aufschrift auf seiner Bademütze: Kautschuk. Mit kindlichem Wohlwollen nehmen sie den fremden Spielgefährten zunächst unbeschwert in ihre Gemeinschaft auf. Erst die Rekonstruktion der jeweiligen körperlichen Attribute – es wird ein Schneepinguin gebaut – legt Kautschuks Fremdheit offen und macht seine physische, kulturelle und sprachliche Andersheit spürbar. Schnell sind die Grenzen gezogen.
Ein ganz auf die Farben Blau und Weiß reduziertes Setting im Eis öffnet jenen Raum, in den die kontrastreich gestalteten Figuren gesetzt sind. Daraus entsteht eine ebenso schlichte wie aussagekräftig gestaltete Geschichte, in der Fremdheit nicht interkulturell aufgeladen, sondern im Kontext einer Freundschaftsgeschichte als irrationale Abwehrhaltung eingebracht wird. Denn rasch erkennen die Pinguinkinder, dass ihre Spiele ohne Kautschuk nur halb so viel Spaß machen; ja mehr noch: Sie beginnen, die Robbe zu vermissen. Am Ende wird also nicht ein Moment der Integration emanzipatorisch exemplifiziert, sondern von einer Versöhnung erzählt, die in die Schaffung einer neuen Gemeinsamkeit mündet.
Hinstorff 2017.
24 S.
Jory John: Paule Pinguin allein am Pol
Wenn man ein kleiner Pinguin ist und Schnee, Sonne sowie das Geschnatter der Artgenoss_innen nicht ausstehen kann, hat man es nicht wirklich leicht im Leben. Paule Pinguin ist diesen Morgen außerdem auch noch ungewöhnlich schlecht gelaunt. Nichts scheint ihm zu gelingen. Das Meer riecht viel zu salzig und das Schwimmen will nicht so recht klappen – manchmal geht er sogar unter "wie so ein doofer Stein." Mit erfrischendem Pessimismus, unvergleichlicher Direktheit und gewitzt übertriebener Dramatik begleitet uns der kleine Ich-Erzähler durch seinen wirklich miesen Tag am Südpol. Lane Smiths Illustrationen übertragen seine Klagen mit Bildwitz auf die Doppelseiten und machen sich dabei das Setting im Eis und die Eintönigkeit einer immer gleichen Pinguinmasse gekonnt zunutze. Zum wesentlichen Gestaltungsmoment werden dabei der Farbkontrast zwischen dem Weiß der Schneelandschaft und dem Blau von Wasser und Himmel, sowie die unregelmäßig getupfte Oberflächenoptik der Bilder, die dem Dargestellten eine haptische Ästhetik verleihen. Und auch wenn Paule zum Schluss vermeintlich erkennt, dass es eigentlich viel wichtigere Dinge gibt als seine schlechte Laune, bleibt das Bilderbuch seinem frechen Ton treu, denn ganz vertreiben lässt sich die Miesepetrigkeit am Ende doch nicht. Muss auch nicht sein, man darf auch mal einen schlechten Tag haben.
Ill. v. Lane Smith.
Aus dem Amerikan. v. Andreas Steinhöfel.
Carlsen 2017.
32 S.
Tiere im Winter. Papperlapapp-Heft Nr. 4
Wintersport oder wohliges Zurückziehen in geheizte Räume? Das sind die beiden grundlegenden Varianten, wie Menschen die Zeit des Winters verbringen können. Aber was machen eigentlich die Tiere? Dieser Frage widmet sich das vierte Heft der zweisprachigen Bilderbuchzeitschrift „Papperlapapp“, das in 8 verschiedenen Sprachkombinationen (unter anderem Deutsch-Arabisch, Deutsch-Tschetschenisch und Deutsch-Türkisch) erhältlich ist. Barbara Peters und Jane McGuiness zeigen in ihrer Geschichte einen neugierigen kleinen Bären, der sich traut, sich der titelgebenden Vorgabe „Bären schlafen im Winter“ zu entziehen. Eine völlig andere Perspektive auf den Winter wählen hingegen Melanie Laibl und Jasmin Schäfer: Denn der Zugvogel Siri verbringt diese Zeit auf einem anderen, wärmeren Kontinent. Für jene Vögel, die hier bleiben und bei der Suche nach Futter auf Schwierigkeiten stoßen, bietet die Mitmachseite eine Anregung, wie aus einer Orangenschale mit wenigen Handgriffen eine Futterkrippe gebaut werden kann. Das Heft ist (wie alle anderen Ausgaben von „Papperlapapp“) hier ganz einfach online bestellbar.
40 S.
Gerda Muller: Was war hier bloß los? Ein geheimnisvoller Spaziergang
Spuren lesen und daraus rekonstruieren, was geschehen ist – diese Aufgabe haben Detektiv_innen, Förster_innen, aber im weitesten Sinne auch Betrachter_innen von (textlosen) Bilderbüchern. So lädt die niederländisch-französische Bilderbuch-Grande Dame Gerda Muller mit dem einleitenden, auffordernden Satz „Geh den Spuren nach!“ schon ganz junge Kinder ein, dem abenteuerlichen Spaziergang zu folgen, den die kindliche Hauptfigur in einer tief verschneiten Winterlandschaft unternimmt. Dabei passiert Einiges – im Bild zu sehen sind jedoch lediglich die Spuren dieser Ereignisse, im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinn. Die klare, klassisch gehaltene Bildsprache lässt viel Raum, das Geschehene beim Betrachten und im Gespräch darüber zu entwickeln – als besonderer Clou der Buchgestaltung werden auf Vor- und Nachsatzpapier ein paar Handlungselemente aufgeschlüsselt
Moritz 2000.
40 S.
Sebastian Meschenmoser: Herr Eichhorn und der erste Schnee
Die Sehnsucht nach dem ersten Schnee ist umso drängender, wenn man wie Herr Eichhorn den Winter bisher immer verschlafen hat (wobei Eichhörnchen biologisch korrekt keinen Winterschlaf, sondern lediglich Winterruhe halten). Also versucht er, von Sebastian Meschenmoser mit seinem besonderen Gespür für Komik und Mimik hinreißend in Szene gesetzt, wach zu bleiben – mit unterschiedlichen Strategien und Gefährt_innen. Wenige Farbakzente und fein schraffierte Bleistift-Details zeigen eine kuriose tierische Truppe, die wild entschlossen ist, ihr Ziel zu erreichen und bei ihrem Wunsch nach der ersten Schneeflocke sehr begeisterungsfähig ist. Denn ein Ding, das „weiß und nass und kalt“ ist, muss die langersehnte Schneeflocke sein. Oder etwa nicht? Kreative Leseanimations-Ideen zur praktischen Arbeit mit dem Bilderbuch hat Pia Lanz Kaiser, eine Leseanimatorin des Schweizer SIKJM entwickelt, abrufbar hier.
Esslinger 2007.
64 S.
Julie Völk: Stille Nacht, fröhliche Nacht
Dass die angeblich stillste Zeit des Jahres nicht mehr still ist, ist ein Klischee, das Jahr für Jahr heraufbeschworen wird. Aber dass Stille vielleicht gar nicht so erstrebenswert ist, zeigt Julie Völk in ihrem gänzlich in Bildern erzählten Bilderbuch, in dem mit feinem Strich und Liebe zum Detail eine Fülle an Geschichten Platz finden. Die zarten, grauen Bleistiftstriche der Grundkonturen treten dabei in Kontrast zu der sachten, in Aquarellblau verschwimmenden Farbfüllung, die anstatt einer platten, reinweißen Farbfläche die nächtlichen Winterlandschaften dynamisiert. Zentraler Farbakzent ist, wie schon in „Guten Morgen, kleine Straßenbahn“, die Farbe Gelb, die in den blau-weißen Schneewelten besonders zu leuchten scheint, als jene Fahrzeug-Karawane, die sich auf den ersten Doppelseiten durch die Eislandschaften bewegt hat, endlich ihr Ziel erreicht hat. Mit dem Wechsel in den Innenraum verändert sich nicht nur die Farbgestaltung von dem kalten, aber zugleich weichen Blau der Winternacht zu dem strahlenden Orange-Gelb des heimeligen Häuschens, sondern auch die Stimmung von erwartungsvoller Vorfreude zu ausgelassener Feststimmung. Bis es schließlich doch still wird. Aber nicht lange …
Gerstenberg 2017.
32 S.
Stian Hole: Morkels Alphabet
Bereits das Cover verweist mit einer mit Pullover, Haube und bis über die Nase gezogenem Schal auf die Zeit des Winters – die jedoch für Anna, die in „Annas Himmel“ ihre Mutter verloren hatte, nicht von Rückzug und Einmümmeln, sondern vielmehr von einer besonderen Begegnung geprägt wird: Morkel, der fast nie zur Schule kommt, hinterlässt Botschaften auf dem gefrorenen Acker vor ihrem Haus, als sie seinen Spuren im Schnee folgt, entdeckt sie sein Baumhaus. Ein wunderbares Versteck, in dem die beiden Wörter sammeln und ihren Gedanken nachhängen, während an den Bäumen die Eiskristalle funkeln. Bis Morkel eines Tages nicht mehr da ist. Stian Holes surrealistische Bildkompositionen aus Fotomontagen und fotorealistischen Zeichnungen verleihen dem Winterwald, aber auch dem Frühling, der schließlich ein Wiedersehen bringt, eine unwirklich-schöne Atmosphäre. Und zeigen so wunderbare Ideen wie einen Schneemann, der auf dem Kopf steht.
Aus dem Norweg. v. Ina Kronenberger.
Hanser 2016.
48 S.
Troon Harrison: Der Eisdrache
Das Verschwinden der Eisdrachen läutet den Frühling ein. Doch in diesem Jahr bleibt ein Drache zurück – er ist verletzt auf dem Dach einer Familie gestrandet und hält die Wärme fern. Im Winter hatten die Eisdrachen mit ihren „mächtigen Schwingen den Himmel aufgewühlt, sodass eisige Luft über die Berge wirbelte. Mit scharfen Klauen hatten sie die Wolken zerfetzt, bis der Schnee die Täler einhüllte.“ Die kanadische Kinderbuchautorin Troon Harrison vermittelt die eisige Stimmung mit prägnanten Sprachbildern, die von der US-amerikanischen Illustratorin Andrea Offermann in ihren eigenen Stil übertragen werden: Schattierungen von Weiß, Grau, Blau und Braun wirbeln auf den Seiten und bilden mal den Körper des Drachen mit seinen zarten Libellenflügeln, mal die verschneite Landschaft mit ihren kargen Bäumen, die in ihrer dynamischen Strichführung mit den Schnee- und Eisformationen verschwimmen zu scheinen. Auf einer Doppelseite hängen spitze, halbtransparente Eiszapfen auf weißem, leeren Hintergrund, während sich auf der nächsten Seite knorrige Bäume unter ihrer Schneedecke winden. Im Mittelpunkt steht das Mädchen, das in der Eiseskälte um das Überleben kämpfen muss und dem Eisdrachen anfangs Hilfe verweigert … Ein zeitlos gültiges Märchen, dessen text- und bildliche Synergien schon für junge Leser_innen erfahrbar sind.
Aus dem Engl. von Pauline Katz.
Nilpferd 2013.
48 S.
Megumi Iwasa: Viele Grüße, Deine Giraffe
Die ganze Zeit in der südafrikanischen Savanne herumzusitzen vermag eine_n auf Dauer nicht wirklich auszufüllen. Ja mehr noch: Es ist langweilig. Giraffe möchte diesem Zustand der Ödnis Abhilfe verschaffen und entschließt sich zu einem wagemutigen Schritt: Sie schreibt einen Brief. Wer hätte gedacht, dass daraus nicht nur überraschende postalische Tätigkeiten resultieren, sondern auch eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen Kontinenten und Klimazonen. Denn auch unter Pinguinen ist der Wissenshunger groß. Und so entspinnt sich eine formal für den frühen Lesebereich gestaltete Geschichte über Diversität, die überraschende Fragen aufwirft: Warum zum Beispiel hat die Giraffe einen Hals, der Pinguin aber nicht? Nun, biologische Details wie dieses lassen sich prima bei einer multikulturellen Teestunde im Eisschollenambiente klären und schriftlich dokumentiert per Flaschenpost hinaus in die Welt tragen. Dass damit auch der Brief im Sinne eines intertextuellen Form-Elementes in ein Buch für Kinder im frühen Lesealter eingebracht wird, ermöglicht literarisches Lernen mit erzählerischem Esprit und illustratorischem Witz.
Ill. v. Jörg Mühle.
Aus dem Japan. v. Ursula Gräfe.
Moritz 2018.
112 S.
Maritgen Matter: Ein Schaf fürs Leben
„Es war ein kalter Winterabend“, an dem ein hungriger Wolf missmutig mit seinem Schlitten durch den Schnee trottet. Als er ein Schaf trifft, ist für ihn klar, in welche Richtung diese Begegnung gehen wird, auch wenn es in galanten Strick gewandet und mit kindlich-naiver Freude auf das Unbekannte ausgestattet ist. Das leutselige Tier nimmt den Wolf herzlich in Empfang und folgt ihm sogar ohne Scheu zu einer winterlichen Schlittenfahrt nach „Erfahrungen“, wo auch immer das sein mag. Collagen mit starkem fotografischen Anteil setzen zwei Figuren in Szene, die reichlich konträre Erwartungen in den gemeinsamen Ausflug setzen und wie Freunde wirken. Oder können sogar, aller Vorgaben der Nahrungskette zum Trotz, wirklich Freunde aus den beiden werden? Genau im liebevoll-ehrlichen Umgang mit diesem Motiv liegt die Besonderheit dieser anrührenden Geschichte: Im Wissen um seine kulinarischen Vorlieben trifft der Wolf eine schmerzhafte Entscheidung – und so geht den Heimweg durch den Schnee, der „aus tausenden winzig kleinen Diamanten zu sein“ scheint, das unversehrte Schaf allein.
Wer kalte Winternachmittage für einen Theaterbesuch nützen mag: Im Perchtoldsdorfer Theo, Theaterort für junges Publikum, wird im Februar und März eine dramatisierte Fassung des Buches aufgeführt, alle Informationen finden Sie hier.
Ill. v. Anke Faust.
Aus dem Niederländ. v. Sylke Hachmeister.
Oetinger 2003.
64 S.
Anna Woltz: Gips oder Wie ich an einem einzgen Tag die Welt reparierte
Ein Tag an dem die Welt im Schnee versinkt und stehen zu bleiben scheint – draußen. Drinnen hingegen klaffen Wunden; jene, die offen liegen, aber auch jene, die tief innen bluten, ohne dass jemand von ihnen weiß. Der klassischen Einheit von Ort und Zeit folgend verlegt der 2017 mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis der Deutschen Bischofskonferenz ausgezeichnete Kinderroman einen Tag im Leben der 12jährigen Fitz in ein Krankenhaus. Und damit an einen Ort des Unheil-Seins gleichermaßen wie des Heil-Werdens.
Mit dem Vater der verletzten Schwester ins Krankenhaus mitkommen darf Fitz allerdings nur, weil die Nachbarin sie mit einer Tigermaske ausstattet; denn Fitz hat sich ihren Kommentar zur familiären Situation angriffslustig mit Permanentmarker ins Gesicht geschrieben. Während sie also das Krankenhaus durchstreift, trifft sie nicht nur auf andere äußerlich und innerlich beschädigte Figuren, sondern denkt auch darüber nach, ob man eigentlich noch als Familie gilt, wenn die Eltern geschieden sind.
Fitz erzählt eloquent, mit trockenem Humor sowie aus der Situation heraus; und weiß dabei letztlich das Fadenknäuel ihres Daseins zu entwirren und ihr Bekenntnis zum Leben (und der neu erwachten Liebe) in den Schnee zu schreiben.
Aus d. Niederländ. v. Andrea Kluitmann.
Carlsen 2016.
176 S.
Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch
Eine Schneekugel, eine Schneekanone und ein Schneesturm. Hat Rico sich über die drei vorherigen Bände immer souveräner in Kreuzberg bewegt und ist sogar weit darüber hinaus gelangt, so bleibt er im winterlichen vierten Abenteuer auf den Ausgangspunkt seiner Abenteuer begrenzt: auf das Haus in der Dieffe 93. Auch Andreas Steinhöfel wählt die Einheit von Ort und Zeit und erzählt innerhalb von 24 Stunden von einem 24. Dezember, an dem ein metereologisches Ausnahmeereignis dafür sorgt, dass die illustre Hausgemeinschaft auf sich gestellt ist. Gemäß des besonderen Tages werden die Ereignisse von Versöhnungsszenarien ebenso bestimmt wie von unerwarteten und erwartbaren Neuankünften junger Erdenbürger_innen. Mittendrin Rico, der herausfinden muss, was Oskar ihm verheimlicht; und der sich – nunmehr bereits weit eloquenter als noch vor seinem ersten Zusammentreffen mit Oskar – an den Sommer zurückerinnert, in dem neue Freundschaften geschlossen, dann aber aus Loyalität zu alten Freunden wieder verloren wurden. Damals war der Streit rund um eine Schneekugel entbrannt. Lässt sich nun alles wieder ins Lot bringen? Natürlich. Denn wenn Andreas Steinhöfel über Weihnachten erzählt, wird Versöhnung zu einem Ereignis, das auf der yellow brick road mitten hinein in das pittoreske Durch- und Miteinander in der tiefwinterlichen Dieffe 93 führt.
Ill. v. Peter Schössow.
Carlsen 2017.
224 S.
Frida Nilsson: Siri und die Eismeerpiraten
Piratenkapitän Weißhaupt gilt als furchterregendster Pirat des Eismeeres. Dort wo dessen Strömungen am kältesten und gefährlichsten sind, treibt der grausame Freibeuter sein Unwesen. Grundlage dafür ist eine Übereinkunft mit seiner Mannschaft: Er überlässt den Männern die Beute, solange diese Kinder stehlen, die dazu gezwungen werden, in Weißhaupts Diamantenmiene zu arbeiten.
Ist der schreckliche Pirat eine fiktionale Figur? Es schien so – steht der Pirat doch im Zentrum der Gute-Nacht-Geschichten, die Siri ihrer kleine Schwester Miki erzählt. Dann aber wird Miki von Weißhaupt entführt und die 10jährige Ich-Erzählerin Siri muss sich auf die Suche nach ihr machen. Das Eismeer wird dabei zum symbolisch aufgeladenen Bewährungsraum: das raue Leben an der eiskalten Peripherie verlangt es Siri ab, an ihren Überzeugungen festzuhalten. In klarer, eindringlicher Prosa folgt die schwedische Autorin damit spannungsreich einer mutig in Angriff genommenen Queste, in der die Motive des Abenteuerromans zu Versatzstücken existentieller Herausforderungen werden.
Ill. v. Torben Kuhlmann.
Aus d. Schwed. v. Friederike Buchinger.
Gerstenberg 2017.
376 S.
Susan Kreller: Der Schneeriese
Vor dem Hintergrund eines kalten Winters variiert Susan Kreller Motive aus Hans Christian Andersens Märchen „Die Schneekönigin“ zu einem feinsinnigen Roman über eine existenzielle adoleszente Erfahrung: Liebeskummer. Der für sein Alter großgewachsene 14-jährige Adrian muss erfahren, dass alles kaputtgehen kann, nur weil man bei den neuen Nachbar_innen nach Zucker fragt – und seine beste Freundin Stella sich bei dieser Gelegenheit in den Sohn der Flüchtlingsfamilie verliebt. Adrian hat den Zeitpunkt verpasst, Stella seine eigenen Gefühle zu offenbaren, die mit den Stilmitteln des psychologischen Romans als erkaltete Seelenlandschaft aufgefächert werden. Sprachsensibel folgt das Erzählen dabei deren Erforschung und treibt Adrian in seiner Eifersucht und Verzweiflung zunehmend hinaus in die Kälte. Bis er dort Draußen, in der eisigsten Nacht des Jahres, einfach auf jener Hollywoodschaukel sitzen bleibt, auf der Misses Elderly ihm und Stella früher das Märchen von der Eiskönigin vorgelesen hat. Adrian muss also körperlich und seelisch wieder aufgetaut werden, muss sich im Leben mit Stella neu zurecht finden. Doch als sich im Frühling wieder zarte (freundschaftliche) Bande ankünden, ist Adrian auch im übertragenen Sinn über sich selbst hinausgewachsen.
Carlsen 2014.
205 S.
Ursula Poznanski: Die Verratenen / Die Verschworenen / Die Vernichteten
Wer sich inmitten der Schneemassen des Jänner 2019 befunden hat weiß, wovon bei jenem „Ausbruch“ die Rede ist, auf dem die dystopische Welt in Ursula Poznanskys Trilogie gründet. Nur eine kleine Gruppe der ehemaligen mitteleuropäischen Bevölkerung hat die neue Eiszeit in so genannte Sphären überlebt – futuristische, kuppelartige Gebilde, die in ihrer Ausstattung ein wenig an George Orwell gemahnen und denen auch ein ähnliches Überwachungssystem etabliert wird. Als Eliteschülerin Ria mit hochmodernen Transportmitteln durch das eisige Draußen zu einem honorigen Empfang gebracht werden soll, gerät sie in den Verdacht, an einer Verschwörung beteiligt zu sein und kann gemeinsam mit anderen flüchten. In der unwirtlichen Naturlandschaft trifft sie auf Menschen, die die Klimakatastrophe in unterirdischen Verstecken überlebt haben – jenseits der scheinbaren Zivilisation. Von den hochtechnisierten Sphären-Bewohner_innen werden sie Prims genannt und wahrgenommen, als würde es sich um indigene Stämme handeln. Das Leben unter den vermeintlich Wilden macht Ria jedoch rasch klar, dass an Wahrheiten immer auch Erkenntnisnotwendigkeiten gebunden sind. Mit jedem der drei Bände weitet sich ihr Blick. Ria muss erkennen, dass sie unwissend Teil jener Verschwörung ist, derer sie beschuldigt wurde; und dass der daran anknüpfende Verrat zurück verweist auf einen Akt der Vernichtung, der dem „Ausbruch“ in Wahrheit zugrunde gelegen hat. Letztlich aber vermag Ria an der Seite von Sandor, dem Wilden mit dem Falken, das erwachende Leben in der vereisten Landschaft in neue, gesellschafts-politisch zukunftsweisende Bahnen zu lenken.
Loewe 2012 / 2013 / 2014.
464 / 464 / 528 S.
Dieter Braun: Die Welt der Berge
In eisigen Höhen bewegen wir uns in diesem ästhetisch markanten Sachbuch vom Kilimandscharo über den Nanga Parbat bis zum Mount Everest. Dabei berichtet Dieter Braun zwar nicht nur von eisigen, sondern auch von feuerspukenden und sandigen Bergen, dennoch sind es oft die weißen Eiswelten der Dächer unserer Welt, die gerade durch die spezielle Bildgestaltung eine besondere Faszination auslösen. Die zugleich modern und historisierend wirkenden Illustrationen folgen unterschiedlichen Farbschemata und setzen sich aus geometrischen Elementen zusammen, sodass sie die gewaltigen Landschaftsformationen und die Körperstrukturen der Tiere eindrucksvoll nachvollziehen. Welche Bewohner_innen dem extremen Klima über der Schneegrenze trotzen und welche architektonischen Bauten in dieser rauen Welt zu finden sind, zeigt das Sachbuch in spektakulären Drauf- und Panorama-Ansichten. Spannende geologische Details, wie zum Beispiel der Tatsache, dass die Höhe eines Berges immer eine Frage des Blickwinkels ist – misst man vom Meeresspiegel oder vom Meeresgrund aus? –, kommen in dem lakonischen Text ebenso wenig zu kurz wie die Einbettung der Bergformationen in ihre jeweiligen kulturellen Hintergründe. Neben Sachinformationen beschäftigt sich das Buch auch mit dem Verhältnis zwischen Berg und Mensch, der in Kunst, Architektur, Sport und Religion in Relation zu ihnen tritt.
Knesebeck 2018.
32 S.
Kristina Gehrmann: Im Eisland
Im Frühjahr 1845 brachen unter dem Kommando von Sir John Franklin zwei Schiffe der Royal Navy – die HMS Erebus und die HMS Terror – in die Arktis auf. Was die Entdecker als ruhmreiche dreijährige Expedition mit dem Ziel anlegten, als Erste die legendäre Nordwestpassage zu durchsegeln, endete mit einem historischen Desaster in eisiger Hölle. Die junge deutsche Comic-Autorin Kristina Gehrmann macht es sich in ihrem dreibändigen Werk zur Aufgabe, das zum Scheitern verurteilte Abenteuer aus dem Blickwinkel hauptsächlich jugendlicher Protagonisten heraus nachzustellen; wohl wissend, dass ihren Leser_innen der Ausgang der Geschichte vermutlich längst bewusst ist. Zwischen hierarchischen Querelen, dem harten Alltag an Bord und den unerwarteten Gefahren, denen sich die ausschließlich aus Männern bestehende Crew stellen muss, nehmen die persönlichen Geschichten der einzelnen Figuren den wohl größten Raum ein. Mit ihrem klaren, detaillierten Stil, der deutliche Anleihen an der japanischen Manga-Kunst nimmt, schafft Gehrmann es gekonnt, jene Gänsehaut-Atmosphäre zu kreieren, die ihren Leser_innen die Möglichkeit gibt, auch nur annähernd das Ausmaß der Katastrophe, des Gestrandetseins in Eis und Schnee, den Krankheiten, dem Hunger und den sich daraus ergebenen, existenzbedrohenden Bedingungen zu begreifen. Keine leichte Kost, und doch packend bis zur letzten Seite.Hinstorff 2015.
224 S.
Wie sich das STUBE-Team außerdem mit dem Thema Winter auseinandergesetzt hat, findet man im internen STUBE-Card-Bereich in einer eher unkonventionelleren Medienliste von Eis und Schnee.
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