Thema: Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2015
Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis der Deutschen Bischofskonferenz geht 2015 an Stian Hole
Der norwegische Autor und Illustrator Stian Hole erhält den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis der Deutschen Bischofskonferenz für das im Hanser Verlag erschienene Buch „Annas Himmel“. Die Jury unter Vorsitz von Weihbischof Robert Brahm (Trier) hat das diesjährige Preisbuch aus 230 Titeln ausgewählt, die von 69 Verlagen eingereicht wurden.
Der Katholische Kinder- und Jugendbuchpreis wird in diesem Jahr zum 26. Mal vergeben. Der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Gebhard Fürst (Rottenburg Stuttgart), zeichnet den Preisträger am 19. Mai 2015 bei einem Festakt in Osnabrück aus.
Preisträger
Stian Hole: Annas Himmel
Der Himmel ist das letzte Ziel und die Erfüllung der tiefsten Sehsüchte des Menschen, der Zustand höchsten und endgültigen Glücks. Der Katechismus der katholischen Kirche hält mit diesen Worten fest, wofür die Bibel unterschiedliche Bilder findet. Wie aber lassen sich Kindern solche Bilder erklären? Wie lässt sich für ein noch junges Lesepublikum ein Ort jenseits von Raum und Zeit beschreiben?
Der norwegische Bilderbuchkünstler Stian Hole nutzt dafür farbintensive Illustrationen, in denen er Requisiten und Symbole aus Pflanzen-, Tier-, und menschlicher Alltagswelt zu neuen, paradiesisch anmutenden Szenarien zusammensetzt. Wenn er vom Tod erzählt, endet er nicht beim kindlichen Trauerprozess, sondern webt in den Moment des Abschiedes eine kindliche Vorstellung vom Himmel. Dabei werden komplexe theologische Fragen auf einer künstlerisch durchaus ebenfalls komplexen, aber dennoch zugänglichen Verständnisebene angesprochen.
Erzählt von Anna und deren Vater – und von einem Moment, vor dem es den beiden „graut“. Auch wenn die Kirchenglocken läuten und der Vater im schwarzen Anzug bereit steht, wird vorerst nicht ausgesprochen, wovon die Unruhe der beiden herrührt. In den Illustrationen jedoch verweisen zahlreiche Details auf eine Bruchstelle: Zerschlagene Tassen, zerrissene Perlenketten, vereinzelt zurück gebliebene Schuhe, ein angebissener Apfel, neue Kleider, die leblos auf einem Bügel hängen. Und während der Vater sich noch trauernd abwendet, ist Anna elektrisiert von der Idee, sich den Himmel vorzustellen – und ihn damit auf die Erde zu holen. „Wie kann Gott nur alle im Auge behalten?“ fragt Anna sich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ihre Mutter nicht mehr da ist. Bildlich entfaltet sich an dieser Stelle in tiefblauer Farbe ein Pfauen-Rad, dessen „Augen“ zeigen, dass sich Gottes Auge nicht lokalisieren lässt, sondern alle Menschen in ihm geborgen sind.
Aus dieser Einbindung ins Unendliche heraus, vermag sich Anna mit ihrer Vorstellungskraft ein Jenseits zu utopieren, indem die Gesetzmäßigkeiten des Naturwissenschaftlich-Weltlichen ihre Gültigkeit verlieren. Die Trennung von Erde, Wasser und Wolken wird aufgehoben und Anna taucht gemeinsam mit ihrem Vater in eine Welt der Schwerelosigkeit ein, in der fliegende Fische und himmlische, aus Muscheln erschallende Chöre den Weg weisen.
Die antike Vorstellung des Himmels als Firmament wird dabei aufgelöst und überführt in die Frage danach, wie Annas Mutter ihre jenseitige Erfüllung findet. Ohne sie zu vereinnahmen werden mit spielerischer Lust konkrete Jenseitsbilder angeboten, die an keiner Stelle vordergründig erscheinen. Himmelsvorstellungen werden dabei an Paradiesvorstellungen rückgebunden, wenn die Mutter zum Beispiel im Garten Gottes aushilft. Mit diesem Paradies jedoch könnte auch eine Bibliothek gemeint sein, denn: „Auch Gott braucht ein Lexikon, in dem er an und zu nachschlagen kann.“
Am intensivsten jedoch wird sicht- und spürbar, dass in der Vorstellung des Himmlischen eine endgültige Gemeinschaft jenseits von Zeit verwirklich wird. Das wunderlichste am Himmel, so hält Voltaire fest, wird es sein, Menschen zu treffen, die wir dort nicht erwartet hätten. Als Meer der Unsichtbaren, die unvermittelt sichtbar werden, bringt Stian Hole diese philosophische Überlegung bildlich ein und lässt diese Vorstellung in einen Kaffeetisch übergehen, an dem „der Opa, der immer mit dem Stuhl wippt“, Buster Keaton und der Großvater von Garman (ein weitere Bilderbuchfigur von Stian Hole) gemeinsam mit Annas Mutter „zu Besuch“ sind.
Dieses Bild des himmlischen Mahls zeigt, wie sensibel und doch eindrucksvoll Bilder und feste Vorstellungen in Schwebe gehalten werden – und gerade damit ihre tröstliche Wirkung entfalten. Denn Anna bleibt nicht Objekt ihrer Trauer, sondern wird aktiv und zeigt, wie ein Stück jenes Himmels, in dem ihre Mutter nun ist, auch auf Erden sicht- und spürbar wird. Mit einer Fülle an bildlichen Schau-Erlebnissen lässt sich dieserart nicht nur das kindliche Symbolverständnis schulen, sondern auch die Frage danach stellen, was unter einem Zustand höchsten, endgültigen Glücks gemeint sein kann.
Heidi Lexe
Aus dem Norweg. v. Ina Kronberger
Hanser 2014
Ehrenliste 2015
Susan Kreller: Schneeriese
Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? Hans Christian Andersen hat dieses neutestamentarische Motiv in seinem Märchen „Die Schneekönigin“ aufgegriffen, dessen Versatzstücke Susan Kreller nun auch in ihren Roman einschreibt: Seit Kindheitstagen sind die beiden Leben von Adrian Theiß und Stella Maraun aneinander geknüpft; denn auch sie leben wie einst Kay und Gerda in miteinander verbundenen Häusern. In jenem eisigsten aller erdenklichen Winter jedoch entschwindet die Wärme zwischen den beiden und die Kälte des Liebesleides macht sich in Adrian breit. Verlangsamt und ganz auf die Details seiner Gefühlswelt konzentriert, richtet Susan Kreller den erzählerischen Blick auf die Innenwelt Adrians, dessen Liebesleid einsetzt, als Stella sich in einen neu im Haus gegenüber einquartierten Flüchtlingsjungen aus Georgien verliebt. Die Liebe hört niemals auf. Aber wird sie auch zu jener Erkenntnis gelangen, die im Korintherbrief angesprochen wird? Adrian, der mit seinen einsneunzig plus vier ohnehin zu groß für diese Welt scheint, vermag sich in die neue Situation nicht mehr einzufügen. Er bleibt wortwörtlich im alten Leben, in der Hollywood-Schaukel der Kindertage, sitzen – und friert ein. Seine Rekonvaleszenz jedoch ist auch an eine schrittweise Läuterung gebunden, an eine Neu-Eingliederung in familiäre und freundschaftliche Bindungen, von denen Susan Kreller mit den Mitteln intensiver, hochpoetischer Spracherprobung erzählt.Carlsen 2014
ab 13 Jahren
Kate DiCamillo: Flora und Ulysses – Die fabelhaften Abenteuer
Schon alleine der Name der Hauptfigur verweist auf das Sprach- und Ideenfeuerwerk, das sich hier in Form eines tragi-komischen Familienromans präsentiert: Flora Belle Buchmann bezeichnet sich selbst als geborene Zynikerin. Ein kleiner Nerd, der ganz auf die pseudowissenschaftlichen Welten jener Comic-Ratgeber vertraut, die sie so gerne verschlingt. Die Tatsache, dass Flora Belle Buchmann ihr Leben ganz aus dieser Comic-Welt heraus schildert, zeigt sich auch in der formalen Gestaltung: Erzählpassagen wechseln einander mit schwarzweißen Illustrationen ab, die zum Großteil in für das Comic typischen Panelfolgen gestaltet sind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr verwunderlich, dass die eigentliche Hauptrolle ein Superheldeneichhörnchen einnimmt. Von Staubsauger Ulysses 2000X beinahe massakriert, erwacht es zu neuem Leben und verfügt nunmehr über erstaunliche Kräfte. Hinter dieser scheinbar so leichtfüßigen Oberfläche verbirgt sich eine humorvoll und feinfühlig erzählte Familiengeschichte, in der Flora ziemlich einsam zwischen der Mutter mit dem schriftstellerischen Selbstverwirklichungstick und dem wenig handlungsfreudigen Vater steht. Doch ein Superheldeneichhörnchen vermag eine solche Familie gehörig aufzumischen und Beziehungsmuster neu zu ordnen. Sodass sich letztlich eine liebenswerte Schicksalsgemeinschaft (samt Schäferinnenlampe und angeblich erblindetem Nachbarjungen) den Unwägbarkeiten des (emotionalen) Alltags stellt.Aus dem Engl. v. Sabine Ludwig
dtv junior 2014
ab 9 Jahren.
William Sutcliffe: Auf der richtigen Seite
Eine Mauer dient dem Roman (der diese Mauer im Original auch im Titel – „The Wall“ trägt) sowohl als topografische Grenze, als auch als Schwelle: Je Kapitel wird diese Mauer in unterschiedliche Richtungen überschritten, um letztlich zum Ort eines dramatischen Showdowns zu werden. Der Blick fällt dabei (unausgesprochen) von israelischer Seite auf die Westbank: Joshua lebt mit seiner Mutter und deren zweitem Mann Liev in einer Siedlung, die der Markierung jüdischen Landanspruches dient. Als Joshua einen Tunnel durch die Mauer entdeckt, ändert sich mit der neuen Sicht auf seinen unmittelbaren Lebensraum auch sein Weltbild. Er gerät in ein desolates, aber dennoch von familiärer Loyalität und einem freudigem, kulinarischen Miteinander geprägtes Umfeld. Die klinisch saubere, hermetische Siedlung wird dabei in Kontrast zu einer fragilen politisch Welt gestellt, die von Angst, Gewalt und Fremdherrschaft bestimmt wird. Zum grenzüberschreitenden Projekt wird ein paradiesisch wirkender Garten – ein palästinensisches Überbleibsel in dem besetzten Gebiet, das von seinem eigentlichen Besitzer nur noch selten besucht werden kann. Joshua beginnt den Garten zu revitalisieren und als Ort des Glückes und der Entgrenzung wahrzunehmen. Das Spannungsverhältnis zwischen den jeweils „richtigen“ Seiten jedoch beginnt genau an diesem Ort zu eskalieren: Liev zerstört den Garten und vertreibt Joshua mit Waffengewalt aus seinem Paradies. Ein finales Überschreiten der Mauer führt darauf hin zur Katastrophe. Doch auch wenn Joshua stark beschädigt zurück bleibt, führen die Ereignisse zur Läuterung seiner Mutter, die Joshua letztlich an seinen biografischen Ausgangspunkt und Sehnsuchtsort zurück bringt: zum Meer.Aus dem Engl. v. Christiane Steen
Rowohlt 2014
ab 14 Jahren.
Charlotte Inden: Operation 5 minus
Lässt sich schuldhaftes Verhalten sühnen? Und muss dazu auch das Opfer bereits sein? Was, wenn das Opfer sich den Sühnehandlungen der Täter entzieht? In leichtem Erzählton vermag Charlotte Inden diese Fragen in eine schwungvolle Geschichte rund um eine reichlich missglückte Freundschaftsaktion zu integrieren: Als Matze in Mathe durchzufallen droht, suchen seine Freunde nach einem Ausweg. Wie wäre es, die Tochter von Dr. Biglmaier (Mathe und Latein) zu entführen und dieserart eine positive Note zu erpressen? Was vorerst als Scherz gedacht war, bekommt schnell Eigendynamik und schon findet sich Jo in eine Geschichte um Liebe und Verrat verstrickt. Jo selbst ist ein unterhaltsamer und eloquenter Ich-Erzähler, der die Geschehnisse an familiäre und freundschaftliche Beobachtungen und Verstrickungen aller Art anbindet. Sein Talent erinnert an jenes von Johnny Trotz – so wie Charlotte Inden ihrem Roman insgesamt eine Reminiszenz an „Das fliegende Klassenzimmer“ von Erich Kästner einschreibt. Auch dort wurde ja der Sohn von Professor Kreuzkamm samt Diktatheften entführt. Die Figuren werden in Namen und Talent an jene von Kästner angebunden; noch stärker aber wird hier ihre jeweilige familiäre Verortung gezeigt. Dieserart wird der Roman auch zu einer humorigen Sozialstudie die zeigt, dass das Glück des einzelnen – ganz so wie bei Erich Kästner – immer auch an die Zuneigung, Loyalität und Aufmerksamkeit anderer gebunden ist.Hanser 2014
ab 10 Jahren
Christine Knödler/ Stefanie Harjes: Warum ist Rosa kein Wind? Gedichte und Geschichten vom Leben, Lieben und Fliegen
Lass dich fallen, heißt es in dem aus anonymer Feder stammenden Gedicht „Anleitung zum guten Leben“; in eine Welt der Vorstellungskraft und Selbsterprobung, möchte man gerne hinzufügen. Denn die Textauswahl dieser außergewöhnlichen Anthologie folgt vor allem unterschiedlichen Weiblichkeitsbildern. Implizit dem Wandel der Jahreszeiten folgend, dem Erblühen und Vergehen, werden Texte zueinander gestellt, die das Ich und die Welt in spannungsvolle Beziehung bringen. Von Sappho bis Else Lasker-Schüler, von Jacques Prévert bis Peter Handke reicht der lyrische Kanon mit dessen Hilfe die Frage danach gestellt, wie man sich in der Welt zurecht findet? Und wie man diese Welt auch wieder verlässt. Lebensfreude, Liebe, Traurigkeit und Schmerz werden eingebunden in ein lyrischen Nach-Denken und Nach-Spüren, das von der Hamburger Künstlerin Stefanie Harjes aufgegriffen und in vielerlei Gestalt künstlerisch umgesetzt wird. Körperlichkeit wird dabei auf unterschiedlichsten Ebenen erprobt (seien es nun Engel oder Liebende) und in den Kontext existentieller Empfindungen gestellt. Miniaturen menschlichen Seins könnte man all diese künstlerisch-poetischen Versatzstücke nennen, zu denen sich auch kurze Prosatexte gesellen, die den Blick ausschnitthaft auf jugendliches Leben und Erleben werfen. Ich will in das Grenzenlose / Zu mir zurück: Eine Einladung zur emotionalen Selbsterprobung im geschützten Raum der Literatur.Ravensburger 2014
ab 12 Jahren und für alle
Patrick Ness: Mehr als das
Ein Roman, der mit dem Tod seines Ich-Erzählers Seth beginnt, sorgt von Beginn an für außergewöhnliche Spannung. Zumal dieser Ich-Erzähler wenig später in einer apokalyptischen Welt wiedererwacht, die er selbst als „Hölle“ bezeichnet. Die Tatsache, dass er an der Küste von Washington gestorben, nun aber wieder in jener Kleinstadt in England ist, wo er als Kind gelebt hat, führt zu einer Parallelführung unterschiedlicher Erzählebenen: Gezeigt wird, wie Seth versucht, sich in der entleerten, abgestorbenen Umgebung zurecht zu finden; erzählt wird aber auch, wie es zu seinem Tod gekommen ist – der sich als Selbstmord aus Trennungsschmerz herausstellt; ebenso bruchstückhaft rückerinnert werden die Kindheitserlebnisse, die vom Gefühl der Schuld um das Schicksal von Seths jüngerem Bruder bestimmt werden. Jener radikalen Selbsterkenntnis gleich, mit der in der modernen Theologie das Fegefeuer ausgedeutet wird, stehen diese biografischen Markeirungen Seth sozusagen gleichzeitig vor Augen. Wie aber soll er aus dieser Hölle wieder herauskommen? Erst als Seth auf zwei weitere Jugendliche trifft und von deren grausamen Schicksalen erfährt, vermag er nach und nach die Beschaffenheit jener Wirklichkeit zu erfassen, in der er gefangen ist. Patrick Ness vermag filmische Anleihen gekonnt mit literarischer Spannung zu verbinden und dabei ganz existentielle Fragestellungen aufzugreifen. Er zeigt die Bruchstellen eines jugendlichen Lebens auf, das gebunden ist an mangelndes Vertrauen in vielfältigen Beziehungskontexten.Aus dem Engl. v. Bettina Abarbanell
cbt 2014
ab 13 Jahren
Sally Gardner: Zerbrochener Mond
Wörter sind Süßigkeiten auf der Zunge des Klangs. Standish Tradwell liebt Wörter – obwohl er nur in Gedanken über sie verfügt. Denn der 15jährige Standish kann weder lesen noch schreiben. Gerade das macht ihn zu einem Erzähler, der aus der Norm fällt: Aus der Mündlichkeit seiner Welt heraus schildert er jene Ereignisse, die er in seiner intuitiven Alltagsklugheit wahrnimmt und auch selbst durchaus gevift vorantreibt. Er erprobt Wörter ebenso wie die an diese Wörter gebundenen Situationen und wird dieserart zum Ich-Erzähler eines hochspannenden Gedankenexperimentes: Mit den Mitteln des historischen Romans führt Sally Gardner in die politische Vergangenheit des 20. Jahrhunderts; gleichermaßen jedoch erzählt sie von den Ereignissen der 1940erJahre ausgehend eine Zukunfts-Dystopie: Durch sparsam gesetzte Zeichen wird das Land, in dem Standish lebt (das so genannte Mutterland) als Nachfolgestaat des Dritten Reiches erkennbar. Ausgrenzung, Selektion und Verfolgung in einem totalitären System werden dabei an jener Miniaturgesellschaft sichtbar, in die Standish am geografischen wie auch politischen Rand des Mutterlandes gestellt ist. Verfolgt werden dabei hochbrisante politische Fragestellungen ebenso wie die Macht und Widerstandsfähigkeit des einzelnen: Dort, wo das Mutterland seine Überlegenheit mit der ersten Mondlandung der Geschichte unter Beweis stellen will, gelingt es Standish wortwörtlich hinter die Kulissen zu schauen und Menschlichkeit ebenso wie Zivilcourage zu zeigen.Aus dem Engl. v. Ingo Herzke
Carlsen 2014
ab 11 Jahren.
Davide Calì / Maurizio A. C. Quarello: Mein Vater, der Pirat
Ganz in der Tradition von Robert Louis Stevensons Abenteuerroman „Die Schatzinsel“ wird ein wilder Trupp an Piraten vorgestellt. Sie sammeln sich um den Vater des Ich-Erzählers, der hier seine Kindheitserinnerungen festhält. In Buntstiftzeichnungen, die an den amerikanischen Pioniergeist ebenso wie an Farbgebung und Motivik des staubigen wilden Westens gemahnen, werden die verwegenen Kerle und ihre Taten ausschnitthaft in einzelnen Panels festgehalten. Doch schon rasch ist zu bemerken, dass sich hinter dieser abenteuerlichen Verortung des Vaters ein sehr hartes und karges Leben verbirgt. Sichtbar wird es, als der Vater bei einem Grubenunglück tödlich verletzt wird und sich die Farbgebung in die Grautöne einer Welt des Kohleabbaus wandelt. Die Neuentdeckung der väterlichen Realität und der Tod des Vaters werden zur Zäsur im Leben des Jungen, der von heute auf morgen kein Kind mehr ist. Der aber nach und nach begreift, das die Piratengeschichten überlebenswichtig für den Vater waren: Die Requisiten des Bergwerkes als jene der Schifffahrt umzudeuten, half dem Vater das Licht der Imagination in die lichtlose Welt unter Tag zu bringen. Ein Besuch des Bergwerks wird zur berührenden Aussöhnung des Jungen mit dem Vater und zum integrativen Bestandteil des Trauerprozesses; denn in die Gesichter der Kumpel, in deren Verlustschmerz der Junge mit einbezogen wird, bleiben die Piratengeschichten als Erinnerung eingeschrieben.Aus dem Italienischen von Edmund Jacoby
Jacoby & Stuart 2014
ab 8 Jahren
Anne-Laure Bondoux: Der Mörder weinte
Selten war in solcher Intensität über Schuldverstrickungen zu lesen: Aufgeladen mit zahlreichen zeichenhaften Handlungen sowie biblischen Motiven, Anleihen und Metaphern lässt die französische Autorin drei Menschen vom Ende der Welt her zurück an den Anfang (allen Seins) gelangen: Seinen Ausgang nimmt der erzählte Exodus im äußersten Süden Chiles, an einem wildumtosten Fleck Küste im Nirgendwo, an dem der kleine Paolo Poloverdo in die Gefangenschaft von Angel Allegría gerät. Der von der Polizei gesuchte Angel ist ein gefallener, verstoßener Engel, dem jede Lebensfreude (Allegría) fehlt; doch das Kind Paolo vermag ihn letztlich zu läutern und zu erlösen. Vorerst jedoch prägt ein schicksalhaftes, wortloses Arrangement das Leben der beiden: Der Zwang gebiert die Gewöhnung, die Gewöhnung die Abhängigkeit, die Abhängigkeit die emotionale Bindung. Das fragile Gleichgewicht gerät ins Wanken, als ein namentlich zweiter Mann, Luis Secundo auf seiner Flucht vor sich selbst zu den beiden stößt. Luis kommt aus Valparaíso und verkörpert dieses Moment des Paradiesischen, indem er Paolo die ersten Buchstaben beibringt und ihm damit die Sehnsucht ins Herz pflanzt. Die drei brechen zu einer Reise auf, deren Etappen im Sinne eines Entwicklungsromans ebenso gelesen werden können wie als Stationen einer Sühnehandlung. Erst in diesem Spannungsfeld von erfahrener Zugehörigkeit und erlittenem Verrat entdeckt Paolo das Leben an sich, den Reiz einer selbstbestimmten Existenz.Aus dem Franz. v. Maja von Vogel
Carlsen 2014
ab 14 Jahren
Griffin Ondaatje / Linda Wolfsgruber: Die Tränen des Kamels
Einander zu sehen, einander zu erkennen, ja mehr noch: einnander an-zu-erkennen zählt zu den Grundprinzipien einer religiösen Haltung. Darin spiegelt sich das Anerkanntwerden durch Gott. Dem Erkennen jedoch gehen das Sehen und das Wahrnehmen voraus – und daran scheitert ein Händler namens Halim in einer Erzählung, die Linda Wolfsgruber in die Farbigkeit des Orients überträgt. Auf dem Weg nach Medina treibt Halim sein Kamel in die Erschöpfung. Dessen Tränen jedoch werden vom Propheten bemerkt, der dem Händler das salzige Leid in die Seele pflanzt – und damit dessen Augen öffnet. Der kanadische Autor lässt sich von einer der Hadithe inspirieren, von einer jener Überlieferungen über die Worte und Taten des Propheten, die integrativer Bestandteil der islamischen Glaubenslehre sind. Dieser Inspiration folgend erzählt er frei von der heilsamen Begegnung mit dem Propheten, die dem Kamel widerfährt. Der islamischen Tradition entsprechend wird der Prophet dabei nicht ins Bild gesetzt; vielmehr folgt Linda Wolfsgruber den Abrücken seines Wirkens, setzt helle Impulse dort, wo er zur Zuflucht des Kamels wird, dessen Präsenz den Händler plötzlich in wundersamer Weise umgibt. Wenn Kamel und Händler nun in neuer Gemeinsamkeit voranschreiten, bricht aus den Wolken fast verborgen jener weiße Schimmer, der illustratorisch auf die All-Präsenz des Propheten verweist – und den Bogen zu allen Glaubensüberzeugungen schlägt, die das Mitfühlen als Grundlage menschlichen Handelns erkennen.Aus dem Engl. v. Uwe-Michael Gutzschhahn
arsEdition 2014
ab 6 Jahren
Xavier-Laurant Petit: Mein kleines dummes Herz
Seit 3.417 Tagen schlägt das Herz von Sisanda nun schon – was keine Selbstverständlichkeit ist. Denn das 9-jährige Mädchen hat einen schweren, angeborenen Herzfehler, der nur durch eine teure Operation behoben werden kann. Sisanda darf weder rennen noch mit anderen Kindern spielen, dafür hat sie eine große Begabung für alles Mathematische. Ihre Mutter wird im Dorf „Maswala“ genannt, „Mutter Antilope“, denn nur beim Laufen, barfuß und über weite Strecken, vergisst sie den Kummer um die Krankheit ihrer Tochter. Durch Zufall erfährt sie von einem hochdotierten Marathonlauf. Sie beginnt zu trainieren, immer das Ziel vor Augen, mit dem Preisgeld ihrem Kind die dringend erforderliche Operation zu ermöglichen. Sisanda kann sich nur in Gedanken und Worten ausleben. Aus der Ich-Perspektive heraus lässt sie den Leser an ihrem Alltag in einem kleinen afrikanischen Dorf teilhaben. In einfacher, bildhafter Sprache erzählt sie von einem Leben im Einklang mit der Natur, familiärer Geborgenheit und gemeinschaftlichem Zusammenhalt. Diese berührende, warmherzige Geschichte zeigt auf schlichte, aber authentische Weise, wie ein schwieriges Schicksal bewältigt werden kann und bietet damit nicht nur Kindern viel persönliche Orientierungshilfe an.
Aus dem Franz. v. Bernadette Ott
Dressler 2014
ab 8 Jahren
Rainer Oberthür/Reante Seelig: Die Pfingsterzählung. Vom Anfang der Kirche
Dass Pfingsten das dritte kirchliche Hochfest nach Weihnachten und Ostern ist, ist vielen Christen nicht mehr bekannt. Auch einen Zugang zum Heiligen Geist als dritte göttliche Person neben Vater und Sohn zu finden, fällt den meisten Menschen schwer. Der Aachener Religionspädagoge Rainer Oberthür nähert sich von Pfingsten aus dem Heiligen Geist und dem Anfang der Kirche an. In einem Dialog zwischen Vater und Kind werden all die Fragen benannt, die sich Kinder in diesem Zusammenhang stellen. Die Antworten erschließen in leicht verständlicher Sprache die christlichen Vorstellungen von Pfingsten und dem Heiligen Geist. Dabei wird deutlich, dass sich die Pfingsterzählung ohne einen Blick auf die Rede vom Heiligen Geist in der gesamten Bibel – etwa im Zusammenhang mit der Schöpfung oder der Taufe Jesu durch Johannes – nicht verstehen lässt. Und Pfingsten wirkt weiter. Am Ende wird dem Kind zugesagt: Der Geist ist die „Kraft Gottes, die dich leben und groß werden, staunen und fragen lässt“. Illustriert durch eingängige Bilder und begleitet von beeindruckenden Texten greift das Buch nur selten beachtete Fragen auf. Für Familien, Kindergärten und Grundschulen lässt sich hier ein komplexes christliches Themenfeld schlüssig und kreativ erschließen.
Gabriel 2014
für alle
Antje Damm: Echt wahr? 52 Gelegenheiten, sich über Lüge und Wahrheit zu unterhalten
Du sollst nicht lügen. Was verbirgt sich hinter dieser im Dekalog formulierten ethischen Weisung? Was alles umfasst das Spannungsfeld von Lüge und Wahrheit? Die Künstlerin Antje Damm nähert sich diesen Fragestellungen sowohl inhaltlich als auch künstlerisch assoziativ und fächert eine Fülle von Begriffsbedeutungen auf. In ganzseitigen Bild- und kurzen Textimpulsen spannt sie den Bogen von Alltagssituationen über die Philosophie und Religion bis hin zu Kunstgeschichte, Biologie und Medizin. Die Lüge wird dabei nie relativiert, aber dennoch immer in ihren jeweiligen Kontext gestellt: Vom Effekt der optischen Täuschung bis hin zur Rechtstaatlichkeit führt der gedankliche und situative Reichtum dabei ebenso wie vom Placebo-Effekt bis hin zur lebensrettenden Lüge: Eine Kohlezeichnung zeigt den kleinen Juden Samuel Perel vor einem Güterzug, der in ein Konzentrationslager führt. Ich bin kein Jude. Diese Lüge rettete Samuel Perel das Leben. Ist aber eine Lüge immer so klar erkennbar? Vom Lügenbaron bis zum Propagandaminister reicht die Bandbreite des bewussten Agierens vor dem Hintergrund von Unwahrheiten, von der Schöpfung bis zur Evolution die Auslegungsvielfalt einer Wahrheit. Was der Welt des Erzählens das Ammenmärchen und das Seemansgarn, sind der Tier- und Pflanzenwelt notwendige Tarnmechanismen und der Kunstwelt die Dekonstruktion. Wer geht hier wem auf den Leim? Wer vertraut welcher Wahrheit? Eine künstlerisch-philosophische Grundlage, die zu ethischen Diskussionen in allen Altersstufen anregt..Moritz 2014
für alle
Pam Muños Ryan / Peter Sis: Der Träumer
Neftali ist ein Träumer. Der intelligente und etwas kränkliche Junge besitzt das Talent, kleine Schätze im Alltäglichen zu entdecken. Das kann eine Feder oder ein besonders geformter Stein sein ebenso wie schöne Worte, die es wert sind, gesammelt und aufbewahrt zu werden. Den hohen Erwartungen und dem Leistungsdruck seines strengen Vaters kann der stotternde Junge nicht gerecht werden. Zuflucht findet Neftali in der Natur, in seinen Träumen, in der Poesie und dem Schreiben. Nur seine Stiefmutter und sein Onkel erkennen und fördern das schriftstellerische Talent des Jungen. Aus Angst vor dem Vater oft nur in aller Heimlichkeit. Diese fiktionalisierte Biografie des chilenischen Dichters und Nobelpreisträgers Pablo Neruda beschränkt sich auf seine Kindheit und Jugendjahre. Sein Engagement für die unterdrückten „Mapuche“ sowie seine regierungskritische Haltung, die auch in seinen Gedichten zum Ausdruck kommen, werden angedeutet. Im Mittelpunkt stehen jedoch vielmehr die Kraft der Fantasie und die Wirkungsmacht der Poesie. Weit über die biografischen Aspekte Nerudas hinaus reichen die im Buch gestellten Fragen, die zum Träumen und Philosophieren über die Welt anregen. Wortbilder und Lautmalereien unterstützen dieses Anliegen ebenso wie die kongenialen Illustrationen von Peter Sís.
Aus dem Engl. v. Anne Braun
Aladin 2014
ab 9 Jahren