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Lektorix in der Furche für das Jahr 2009

Lektorix des Monats Dezember 2009

Alexa Hennig von Lange (Hrsg.):
I love U / I don't love U.
Lyrik und Lyrics.
Beltz & Gelberg 2009.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich/Du/Wir

"Da ist kein Romeo drin": Aber trotzdem darf in den rund 150 hier zusammengestellten Gedichten heftig geliebt werden. Die Autorin Alexa Hennig von Lange, bekannt geworden 1997 mit ihrem Roman "Relax", betätigt sich als Herausgeberin von Liebes-Lyrik und Liebes-Lyrics. Formal wählt sie für ihre Zusammenstellung einen für das Thema Liebe sehr reizvollen Kunstgriff: Das (Taschen-)buch lässt sich sowohl von vorne als auch von hinten lesen. Die beiden Hälfte verkörpern die Pole, zwischen denen sich Liebesbeziehungen im besten und im schlechtesten Fall bewegen, bezeichnet mit den im Stil von Graffiti abgebildeten Kürzeln "I love you" (grafisch umgesetzt mit einem geflügelten Herz) und "I don’t love you" (hier findet sich ein durchgestrichenes Herz).
Im Aufbau der Kapitel folgt sie der Entwicklung beim Anknüpfen zw. Beim Auflösen einer Beziehung: Bei der gelingenden Liebe sind es "ich", "du", "ich & du" und schließlich "wir". Kürzer verläuft es bei der Liebe, die scheitert: "ich & du", "du", "ich". So kehrt sich also die Kapitelaufteilung je nachdem, auf welcher Seite des Buches man die Lektüre, beginnt, schließlich wieder um. Anders als in traditionellen Lyrikanthologien wird hier also auch die "Entliebung", das Scheitern von Liebesbeziehungen, mitbedacht – eine Absage an das romantische Liebesideal von der einen großen Liebe, die wohl auch der Lebensrealität der Leser*innen entspricht. So findet sich auch das ganze Spektrum an möglichen Emotionen, von Erich Frieds bekanntem "Was es ist" bis zu Funny van Dannens "Herzscheiße".
Bemerkenswert ist der Rechercheaufwand, den Alexa Hennig von Lange augenscheinlich betrieben hat: Denn neben bekannten Autor*innen wie Friederike Mayröcker, Joachim Ringelnatz, Ingeborg Bachmann oder Rainer Maria Rilke stammt der Großteil der Texte von jungen, unbekannten lyrischen Stimmen aus dem deutschsprachigen Raum, viel der Gedichte und Songtexte werden hier zum ersten Mal veröffentlich. Dieses selbstverständliche Nebeneinander von "klassischen" und modernen, durchaus unkonventionellen Texten in einer ansprechenden Aufmachung (alle Gedichte sind in dunkelroter Schrift gesetzt) bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für Jugendliche, sich in Texten der einen oder anderen Art wiederzufinden. Nicht immer im Sinne von totaler Verständlichkeit oder unmittelbarer Zugänglichkeit. Denn, wie die Herausgeberin in ihrem Vor- bzw. Nachwort formuliert: "Die Gefühlsfülle in uns entschlüsselt das, was hier in knapper Form vollkommen erfasst wurde."

Kathrin Wexberg

 

Buchtipp in DIE FURCHE 49/3. Dezember 2009

 

Terry Pratchett:
Eine Insel.
Ill. v. Jonny Duddle.
Aus dem Engl. v.
Peder Brehnkmann.
cbj 2009.

 

 

 

 

 


 

 


 

Zwei Menschen - eine Nation

"Niemand ist eine Insel." Denn für eine Insel bedarf es weit mehr als einen Menschen. John Donne hat bereits vorweggenommen, was Pratchetts Parabel von Religion, Wissenschaft und Menschheit erzählt. Eine Flutwelle zerstört das pazifisch anmutende Inselreich zur Kolonialzeit einer Parallelwelt und unterbricht den Initiationsritus des jungen Mau, der so nicht nur kein Mann, sondern einzig Überlebender seiner Insel geworden ist. Fortan wird der "Junge ohne Seele" von den Göttern, seinen Vorfahren, lautstark genötigt, die "Nation" – so auch der Originaltitel – wieder zu errichten.
Zur Hilfe kommen ihm Gestrandete, allen voran das "Hosenmenschenmädchen" Daphne, das als überzivilisierter europäischer Adelsspross den Gegenentwurf zu Maus Kultur darstellt. Regelstarr und bis zur Handlungsunfähigkeit geprägt von ihren Wurzeln sind anfangs jedoch beide. In ihren ersten, durch Sprachbarrieren erschwerten Begegnungen werden Natur- und Kulturvolk gleichermaßen persifliert wie vermengt, unreflektierter (Aber)glaube offengelegt. Pratchetts Sprachwitz wirkt dabei trotz der ungewohnten Ernsthaftigkeit pointiert wie nie.
Mau wird Häuptling dieser neuen Zivilisation und lotst die Insulaner mit Daphne durch die Konfrontation mit überholten Göttern, angreifenden Kannibalen und bahnbrechenden Erkenntnissen über die scheinbar europäischen Wissenschaften …Am Ende ist ob der wortwörtlich weltenübergreifenden Entwicklung weder Mau noch Daphne noch der großartige Roman selbst wiederzuerkennen – und die fordernde Stimme der Götter verstummt.
Was bleibt, ist Glauben, Welt und Horizont ganz neuer Art: "Ein Mensch allein ist nichts. Zwei Menschen sind eine Nation."

Christina Ulm

 

Lektorix des Monats Oktober 2009

 

Alain Serres: Die Erde, die uns trägt.
Ill. v. Zaü. Fotos v. Yann Arthus-Bertrand u.a.
Aus dem Französ. v. Tobias Scheffel.
Ravensburger 2009

Schützenswerter Planet

"Es ist zu spät für Pessimismus", äußerte sich der französische Fotograf und Journalist Yann Arthus-Bertrand bei der Präsentation seines neuen Dokumentarfilms „Home“ zur Umweltproblematik und präzisiert dabei auch das Hauptmotiv eines neuen, erstmals für Kinder konzipierten Fotobandes, der die weltbekannten Aufnahmen der Erde „von oben“ in ein ganz besonderes Setting stellt.
Nach jedem Umblättern verirrt sich der Blick zwischen den vier Elementen jeder Doppelseite: pechschwarze Tuschezeichnungen, nicht minder schön als die farbenprächtigen Luftbilder, farblich harmonisch gesetzte Schlüsselwörter und stimmige Kurztexte um lohnenswerte Nachhaltigkeit und Wertschätzung gegenüber dieser Welt. Kraterseen, Rapsfelder und Eisberge zeigen dabei ihre ganz offensichtliche Fotogenität – Ölteppiche, Luftwaffenstützpunkte und Mülldeponien ihre verborgene. Der Inhalt der großflächigen Aufnahmen entschlüsselt sich oft erst durch die schlichten Illustrationen, die ergänzen, kontrastieren, spiegeln oder widersprechen und die Fotos in ihrer Wirkung so bereichern.
Wie kleine Metonymien verhalten sich die in Tusche festgehaltenen Ein-, Rund- und Ausblicke zu den Motiven: Da wird der Fluss als Ameisenstraße weitergedacht, die Sandburg den Wolkenkratzern gegenübergesetzt, das webende Kind hinter den Teppichen gezeigt und der Taucher im Korallenriff entdeckt. Natürliche Unberührtheit und zivilisatorische (De-)Formierungen wechseln sich gleichsam ab wie die Perspektive der dazwischen gesetzten Zeilen. Ich/Du/Wir stehen im steten Wechsel und entsprechen dem neuen Arrangement der menschenleeren Fotografien inmitten gezeichneter Menschen aller Kulturkreise, die wir in Arthus-Bertrands Projekt „Sechs Milliarden andere“ auch zu Worten kommen dürfen. Den schöpferischen Elementen, aber auch Themen wie der Gleichberechtigung, werden ganze Doppelseiten gewidmet, sie brechen die ästhetisch strenge Zweiteilung des Bandes. Ein Bildverzeichnis beschließt diese einzigartige Inventur der Welt und zeigt durch das Vorkommen aller Kontinente erneut die Leb- und Schützbarkeit dieses Planeten.
Ein Bildband, der seine Ansprüche weit über bloße Ästhetik stellt: Politisches und soziales Engagement gilt es durch die Schaffung eines umfassenden Umweltbewusstseins bei einer der wohl wichtigsten Zielgruppen zu wecken. Es sind keine Gegensätze, sondern Symbiosen, die sich in dieser Hommage an Mutter Erde in Wort, Bild und Idee offenbaren und jedes Alter zum Rätseln, Nachdenken, vor allem aber Staunen einladen.

Christina Ulm

 

Buchtipp in DIE FURCHE 40/1. Oktober 2009

 

Siobhan Dowd:
Anfang und Ende allen Kummers ist dieser Ort.
Aus dem Engl. v. Salah Naoura.
Carlsen 2009

Wie weit darf man gehen?

Das vierte, letzte Buch der 2007 verstorbenen Autorin ist ein historischer Roman im doppelten Sinne: Die Rahmenhandlung setzt 1981 in Irland (laut Titel "Anfang und Ende allen Kummers") ein, als der achtzehnjährige Protagonist Fergus beim illegal Torfstechen die Leiche eines Mädchens findet. Er vermutet, dass sie erst vor kurzem einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel – doch dann zeigen die archäologischen Untersuchungen, dass Mel, wie sie ihr Finder tauft, um 80 nach Christus gelebt haben muss. In Fergus’ Leben überschlagen sich die Ereignisse: Sein wegen IRA-Aktivitäten inhaftierter Bruder tritt in Hungerstreik, er selbst wird gezwungen, dubiose Kurierdienste zu übernehmen, und verliebt sich in die Tochter der Archäologin, die die Forschungsarbeiten leitet.
Parallel dazu wird auf einer zweiten Ebene in Ich-Form das Leben von Mel und die Verwicklungen, die zu ihrem gewaltsamen Tod führten, auserzählt. Spannend und voll überraschender Wendungen zeigen sich die Prallelen zwischen den beiden Handlungsebenen nicht auf den ersten Blick, sondern erst im Nachdenken über das Gelesene. Eingewobenen in den Plot ist eine Fülle an ethischen Fragestellungen: Wie weit darf man gehen, um seine eigenen politischen Überzeugungen zu vertreten? Wie schwer wiegt die Entscheidung eines Menschen, der seine eigenes Leben für eine Sache opfern möchte? Wie kann es gelingen, als Individuum aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt auszubrechen?
Das gesellschaftspolitische Engagement der Autorin zeigt sich auch in ihrem außerliterarischen Vermächtnis: Einnahmen aus ihren Büchern fließen einer Stiftung zu, die Kindern aus bildungsfernen Schichten den Zugang zu Büchern ermöglicht.

Kathrin Wexberg

 

Lektorix des Monats September 2009

 

Jakob Wigelius: Sally Jones
Eine Weltreise in Bildern.
Aus dem Schwed. v. Gabriele Haefs.
Gerstenberg 2009


 

Phantastische Weltreise

Sally Jones. Hinter diesem klingenden Namen verbirgt sich keine Sängerin oder Schauspielerin, sondern – ein Gorillamädchen aus dem Kongo, irgendwann, als Kinshasa noch Léopoldville hieß. Als Junges wird Sally von Wilderern eingefangen und verkauft, und damit beginnt eine Odyssee, die sie um die ganze Welt führt: nach Istanbul, wo sie zur Schmuckdiebin ausgebildet wird, in einen Zoo, wo sie sich mit dem Orang-Utan Baba anfreundet, auf Tournee mit einem Wanderzirkus, als blinder Passagier auf ein Frachtschiff, auf dem sie der erste Maschinist, der "Chief", unter seine Fittiche nimmt. Nach einem Schiffbruch findet Baba in Borneo wieder eine Heimat, doch nicht so Sally Jones. Erst als das Schicksal, nach vielen weiteren Stationen und Qualen, sie in Singapur wieder mit dem Chief zusammenführt, wendet sich auch für sie letztendlich alles zum Guten.
Dieses Buch lässt sich nur schwer in bekannte Kategorien fassen: Ausgestattet mit einer Vielzahl dezent kolorierter Illustrationen aus der Hand des schwedischen Autors selbst, ist es mit über hundertdreißig dicht erzählten Seiten doch mehr als ein klassisches "Bilderbuch". Die bewusst antiquiert wirkenden Bilder, die auch immer wieder zeitgenössische Comic-Elemente einarbeiten, entführen mit viel Atmosphäre in eine visuelle Welt, wie man sie aus den Naturkundebüchern des späten 19. Jahrhunderts kennt. Es ist, wie der Titel verspricht, eine faszinierende Weltreise in Bildern, die eine phantastische Geschichte erzählt. Schließlich können nicht alle Gorillas lesen und Auto fahren, tragen Blauzeug und Schirmkappe und bilden sich mittels Handbüchern zum Maschinisten aus.
Die Stationen der Abenteuer jedoch sind ebenso wie Sallys Schicksalsschläge genau recherchiert und sehr realistisch. Da stimmen die historischen Namen von Ländern und Städten genauso wie die Grausamkeiten, denen Wildtiere ausgesetzt waren und sind. Einerseits verfolgt man Sallys Leidensweg mit Betroffenheit, andererseits amüsiert man sich auch über kleine humoristische Einfälle, die vor allem im Bild transportiert werden. Sallys Kraft, schlimmstes Leid zu überstehen und immer wieder weiterzumachen, berührt einen genauso, wie man darüber schmunzelt, wenn der Chief lieber mit dem Affen durchbrennt, als zu heiraten. Und wenn die beiden am Ende auf ihrem eigenen Schiff dem Regenbogen entgegenfahren, möchte man ihnen fast hinterherwinken … Ein Lese- und Schauvergnügen für jedes Alter.

Karin Haller

 

Buchtipp in DIE FURCHE 36/3. September 2009

 

Jens Sparschuh: Morgens früh um sechs ...
Die Geschichte von der kleinen Hexe und dem dicken Heinz.
Ill. v. Julia Neuhaus. Hinstorff 2009.


Kleine Hex' in Patchworkwelt

Arcimboldo war gestern. Die Hexe von heute trägt das Gemüse nicht im Gesicht, sondern führt es im Beiwagen ihres Motorrads mit sich. Um es dann mit der Kettensäge kleinzuschnippeln, während der Rabe auf ihrem Kopf die Uhrzeit krächzt: "morgens früh um sieben, schabt sie gelbe Rüben". Koboldhaft und in ein exquisites, grün eingefärbtes Kleid aus Höhenlinien-Papier gekleidet wird die kleine Hex' in eine Szenerie gesetzt, die so wirkt, als hätte Pippi Langstrumpf sie soeben verlassen. Doch wird hier nicht eine Villa Kunterbunt dargestellt, sondern eine Skyline schräger und verwinkelter Bauten erinnert an jenes legendäre "gammalt hus". Wie einst Susi Weigels Frau Hullewulle dirigiert die kleine Hex' sich selbst durch eine auszahlreichen (Bild-) Requisiten gepatchworkte Welt.
Bis – "pünktlich um halb eins" – der dicke Heinz kommt, denn Jens Sparschuh erweitert den traditionellen Kinderreim nicht nur um mehrere Zeiteinheiten, sondern auch um eine weitere Figur. Aus ihr macht Illustratorin Julia Neuhaus ein bemerkenswert aktives Schwein, das im Stundentakt für zwei frisst, musikalisch aufspielt und sich am Hexeneinmaleins abmüht. Um sich dann gemeinsam mit der kleinen Hex' wohlig schaudernd bei einem Horrofilm zu entspannen …
Alles verschiebt, verdoppelt und vervielfacht sich hier – von den Blubberblasen der Zahnpasta bis hin zum Katzengesicht. Größenverhältnisse werden lustvoll aufgelöst, sodass die ganze Welt Platz findet und sowohl "morgens früh um neune" als auch noch einmal um Mitternacht umrundet werden kann. Fuchs und Hase sagen sich derweil irgendwo zwischen Klimanwensi und Ugweno Gute Nacht.

Heidi Lexe

 

 

Lektorix des Monats August 2009

 

Stian Hole:
Garmans Sommer.
Ill. v. Stian Hole.
Aus dem Norweg. von
Ina Kronenberger
Hanser 2009

Der Sommer ist bald vorbei

Von seinem Ende her ist das Bilderbuch als Erinnerungsgeschichte zu lesen. So wie im Einmachglas auf dem Rückcover Früchte für die kühleren Tage konserviert werden, ist im Buch selbst die Erinnerung an den Sommer festgehalten. Es ist ein besonderer Sommer: Garmans (letzter) Sommer (vor Schulbeginn).
Die Geschichte setzt ein mit dem Vorausblick auf ihr eigenes Ende: "Garmans Sommer ist bald vorbei." Fotorealistisch zoomen die Illustrationen an die Vorboten des Herbstes heran, setzen überreifes Obst und sich bereits rot färbende Blätter in bewusster Verkehrung von Größenverhältnissen ins Bild. Wie Insekten umschwirren Garman die sommerlichen Szenerien – unterlegt mit dem fröhlichen Geplapper der Tanten, die mit dem Schiff aus einer anderen Zeit gefahren kommen und "Gicht und Verdauungsschwierigkeiten und Makronenkuchen mitbringen". Und wenn Garman sich denkt, dass die Tanten jedes Jahr ein bisschen mehr schrumpfen ("bald können sie kaum mehr übers Gras schauen"), dann nehmen die Illustrationen Garmans Gedankensprünge beim Wort. Bis hin zur kleinsten Augenfalte und bis hin zu den auf dem alternden Kinn sprießenden Barthaaren in Detailtreue gestaltet, werden die Figuren zu Collage-Elementen einer skurrilen Gartenszenerie, die Garmans Vorstellungswelt bildlich auffächert. Die farbintensiven Anleihen dafür entstammen dem Styling der 1950er Jahre ebenso wie der Hippiekultur und dem magischen Realismus.

Doch in das sommerliche Kaffeekränzchen schleicht sich bald die Vorausschau auf den Winter: Das Gastgeschenk der Tanten ist eine Pudelmütze mit Quaste. Gedacht für Garman – und doch der Versuch, die eigene Angst vor dem Winter in Zaum zu halten. Die Angst „vor den kalten dunklen Abenden und den Räumfahrzeugen, dem Schneefegen und glatten Bürgersteigen.“ Auch wenn Garman mit dem Winter viel eher das Iglu, die Rodelbahn im Park und heißen Kakao mit Schlag in Verbindung bringt, so kann er gerade in diesem Sommer nachvollziehen, was Angst und Abschied (für die Tanten) bedeuten. Ein kleiner Vogel stirbt und wird von Garman an einem geheimen Platz im Garten begraben; Garmans Papa geht mit seinem Orchester auf Tournee; und auch Garmann selbst sortiert noch einmal die Requisiten seines Kleinkinderlebens, bevor er sich in Warteposition auf den ersten Schultag begibt. In seiner letzten doppelseitigen Illustration hat der norwegische Bilderbuchkünstler Garmans Zimmer leergeräumt. Der Sommer ist Erinnerung und Garmans Blick auf das Morgen gerichtet: "Es sind noch dreizehn Stunden, bis die Schule anfängt. Und Garman ist ein bisschen mulmig."

Heidi Lexe

 

Lektorix des Monats Juni 2009

 

Karla Schneider:
Wenn ich das 7. Geißlein wär'.
Ill. v. Stefanie Harjes.
Boje 2009

Wenn ich der Jäger wär

Es war einmal … Volksmärchen sind per definitionem Geschichten, die vor ihrer schriftlichen Fixierung bereits eine lange mündliche Überlieferung hinter sich hatten, in unterschiedlichen Erzählvarianten tradiert wurden. So entfaltet sich auch ihre archetypische Kraft ganz besonders im Wiedererzählen und Weitererzählen – ein Aspekt, den die Autorin Karla Schneider mit der kindlichen Lust am Rollenspiel und am Ausloten von unterschiedlichen Möglichkeiten kombiniert: "Wenn ich der Jäger wäre, hätte ich es so gemacht: Erst wäre ich ganz zufällig auf die Spur des Wolfs gestoßen. Dann wäre ich ihm nachgeschlichen. Und hätte ihn belauscht, wie er mit Rotkäppchen redet." So beginnt auf der ersten Doppelseite ein namenloser Bub seine Variante des Märchens. Doch seine Gesprächspartnerin namens Ottinka Taube argumentiert, dass dieses Wissen um die Absicht des bösen Wolfes ja wohl seine Erschießung als einzig logische Konsequenz hätte – doch was, wenn der Wolf am Anfang noch gar nicht böse war?
Durchgängig in Dialogform erzählt, entfalten sich im Gespräch der beiden Kinder kreative Variationsformen der altbekannten Geschichten. Anstelle der Formelhaftigkeit der traditionellen Märchensprache findet sich hier die Unmittelbarkeit eines Gespräches unter ins Spiel vertieften Kindern.

Auch typisch mündliche Ausdrücke aus dem kindlichen Alltag wie "ätsch-bätsch" oder "peng! peng!" sind wie selbstverständlich in die Dialogpassagen (die einander gegenübergestellt sind) integriert. Die Wildheit und Kreativität der immer mehr ins Dramatische gesteigerten Märchenhandlung nimmt Illustratorin Stefanie Harjes in ihren Bildern auf: Da ragen spitze Wolfszähne drohend über die Grenzen des Buches hinaus, die Befreiung der Geißlein aus dem Wolfsbauch wird ganz konkret als Operation inszeniert, in die sich unheilvoll ein mit schwarzen Ölkreidestrichen gezeichneter Vogel hineingeschlichen hat …
So wie im erzählten Text die Kinder immer mehr mit den Märchenfiguren verschmelzen, changieren auch ihre Figuren zwischen Vermenschlichung und Animalischem. Immer wieder wird auf das Theatrale dieser Märchenerzählung verwiesen, wenn menschliche Figuren mit Tiermasken gezeigt werden. Zentral ist dabei das Moment des Dialogs: Im Gespräch der beiden Kinder werden Assoziationen gesponnen, Möglichkeiten ausgelotet, Varianten andiskutiert und wieder verworfen – und schließlich die Entscheidung getroffen, dass zwei Wolfskinder in einem Geißen-Haushalt einfach nichts verloren haben.

Kathrin Wexberg

 

Lektorix des Monats April 2009

 

Linda Wolfsgruber:
Daisy ist ein Gänseblümchen.
Ill. v. Linda Wolfsgruber.
Jungbrunnen 2009

Mit Blüten und Blättern

Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf: So kann man heißen. Oder genauer gesagt: So kann man sich nennen, wenn man als Hauptfigur eines Kinderbuchs auftritt, das so ver-rückt und verdreht ist wie sein Handlungsort – die Villa Villekulla. Umgeben ist diese Villa Kunterbunt (so deren deutschsprachiger Name) von einem verwilderten Garten, dessen genauere botanische Beschaffenheit man nicht kennt, in dem aber vielleicht (zumindest zur entsprechenden Jahreszeit) ein Moosglöckchen blüht. Der schwedische Name dafür wäre Linnéa.
Frühlingshaft Erstrahlendes zu entdecken, bedarf jedoch der Verlangsamung – und gleicht damit dem Akt des Lesens und der Bildbetrachtung, denn literarische und künstlerische Benennungen erfolgen im Vergleich zum geschäftigen Alltag in einer ganz anderen Geschwindigkeit und Intensität. Die Illustratorin Linda Wolfsgruber nimmt solche Benennungen in ihrem neuen Bilderbuch wortwörtlich vor, wenn sie in eine florale Wunderwelt entführt, in der Mädchennamen aus aller Welt als Blumennamen erkannt und ausgedeutet werden: "Ianthe ist eine purpurrote Blume" und ein griechischer Mädchenname,"Zahra Sahara ist eine Wüstenblume" und ein arabischer Mädchenname, "Mirte ist eine Myrthe" und ein niederländischer Mädchenname, "Soley ist ein Hahnenfuß" und ein isländischer Mädchenname.

Gut zwei Dutzend Blüten und Namen werden aufgenommen und künstlerisch als eine Art botanisches Schnittmuster präsentiert – denn zuallererst übernimmt Linda Wolfsgruber in ihre illustratorische Gestaltung die Kreativtechniken des Nähens: Modeentwürfe, Nähte, Stoffdrucke und Schnittbögen mit ihrer Variation von Linien werden grafisch und malerisch nachgestaltet und die Mädchenfiguren zum Teil mit den Blüten und Blättern bekleidet. Nicht die Hochglanzästhetik eines Modemagazins sorgt dabei für die ästhetische Vorgabe, sondern die Antiquiertheit eines Herbariums, in dem besonders zerbrechliche Fundstücke ihren ganz besonderen Platz finden. Zart und fragil werden die Mädchenfiguren in den Bildraum gestellt – bis hin zu Jasaman, dem persischen Jasmin-Mädchen, das einer Elfe gleich auf Transparentpapier skizziert und von roten Blätterranken überdeckt wird. Kaum wagt man umzublättern, um keine der Blüten zu beschädigen – selbst die forsche Erika zeigt sich in ihren Gummistiefeln und ihrer spärlichen Heidekrautbedeckung noch zartbeseelt. Und Linda Wolfsgruber zeigt einmal mehr, wie nachhaltig sie im kunterbunten Garten der Kinderliteratur künstlerische Akzente zu setzen vermag.

Heidi Lexe

 

Lektorix des Monats Februar 2009

 

Rudyard Kipling:
Die Dschungelbücher.
Aus dem Engl. v.
Gisbert Haefs.
Ill. v. Martin Baltscheit.
Boje 2008

Einsam zwischen zwei Welten

Wenn der Nachtgesang des Dschungels anhebt, beginnen die Stunden der Macht für Klauen, Zähne und Krallen. Das "Gesetz des Dschungels" wird beim Wort genommen und zum prägenden Strukturmerkmal jener Geschichtensammlung, die erstmals 1894 unter dem Titel "Das Dschungelbuch" erschien. Ein streng hierarchisches Prinzip, das die vom Freien Volk der Wölfe schützt, wird dabei entworfen und im Nachfolgeband aus dem Jahr 1895 fortgeführt – wobei das Gesetz zuallererst als "wahr" und immerwährend ausgedeutet wird. So wie der in Bombay geborene englische Autor Rudyard Kipling (der erste Literaturnobelpreisträger Großbritanniens) überhaupt eine Vielzahl mythologischer und archaischer Szenerien entwirft – und damit in eine Welt des Fremden im Sinn des für den Menschen Unausdeutbaren führt.

Ihren sprachlichen Nährboden findet diese Fremdheit in der Vielzahl aus dem Hindi oder Urdu übernommenen Namen oder Ortsbezeichnungen. Gemeinsam mit dem erhabenen Sprachduktus, der auf das Vorzivilisatorische (respektive die Schwelle zur Zivilisation) verweist, sowie den zahlreichen lyrischen Passagen entsteht eine Fülle sprachlicher Varianten, die durchaus dem Dschungel als Metapher für eine in sich verschlungene Welt entspricht. Umso erfreulicher, dass die Illustrationen diese Metaphorik aufnehmen – oft genug waren beherzt bebilderte Ausgaben von "Das Dschungelbuch" mit scheinrealistischen Darstellungen geschlagen, in denen palmenhausähnlicher Bewuchs das Dschungelkind Mowgli umrankt hat. Der Dschungel wurde zur Kulisse, in der seit 1967 dann auch noch ein charmanter Swing im Disney-Style aufs exotische Parkett gelegt wurde.
Der Kampf ums Überleben im Dschungel ist in dieser Überlieferungstradition längst in den Hintergrund getreten; doch gerade im Motiv des wilden Kindes liegt die kinderliteraturhistorische Bedeutung der "Dschungelbücher". Mowglis steter Kampf um Zugehörigkeit weist ihn als wesensgleich mit anderen klassischen Figuren aus, die – zwischen zwei Welten stehend – oft genug einsam zurückbleiben. "Menschenrudel und Wolfsrudel haben mich ausgestoßen", stellt er am Ende von "Tiger! Tiger!" fest und beschließt, fortan allein im Dschungel zu jagen.
Martin Baltscheit nimmt die Rauheit dieses Lebens in seine scharfkantigen Bilder auf und schafft mit seiner suggestiven farblichen Reduktion auf Rot und Schwarz ein faszinierendes Äquivalent zur Fremdheit der Dschungelwelt. Es liegt also nicht nur erstmals seit Langem wieder eine Gesamtausgabe beider Dschungelbücher in solider deutscher Übersetzung vor, sondern zudem eine außergewöhnlich ansprechend gestaltete.

Heidi Lexe

 

 

 

 


STUBE Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur | Stephansplatz 3/II/11 | A-1010 Wien | T.: +43 1 51552-3784 | stube@stube.at oder fernkurs@stube.at