Tyrolia 2025.
192 S.

Agi Ofner: Problemwölfe

Vor nicht allzu langer Zeit ist Elch Emil durch Österreich gezogen. Ein Umstand, an dem sich niemand gestört hat; vielmehr war Emil innerhalb kürzester Zeit der Liebling aller Österreich*innen. Gänzlich anders und durchaus ambivalent verhält es sich rund um ein anderes Wildtier, das sich in den letzten Jahren immer mehr in den heimischen Wäldern niederlässt: Der Wolf. Von den einen gefürchtet, von den anderen gefeiert und von wieder anderen verflucht.

Und genau diesen gesellschaftspolitischen, durchaus polarisierenden Aspekt wählt Agi Ofner als Ausgangspunkt ihres Jugendromans, der sich zwischen der Wiederansiedlung des Wolfes und dem Bau einer Hotelanlage in ebenjenem Gebiet, wo sich ein Wolf aufhält, abarbeitet. Fünf jugendliche Perspektiven und die Erzählzeit von etwa 24 Stunden wählt die österreichische Autorin dafür, um Ambiguitätstoleranz* zu schulen und komplexe Dynamiken der Demokratie zu verhandeln.

Marlene setzt sich für den Wolf und gegen den Hotelbau ein, geht zu Demos und verfolgt einen eigenen Plan, die Welt ein bisschen besser zu machen.

Rudi ist Sohn eines Schafbauern, Jägerssohn und war vor dem Wolf Marlenes fester Freund. Seine Agenda gilt den Schafen, die vor dem Wolf zu schützen sind.

Amal ist Marlenes beste Freundin, stets bedacht, kann die Diskriminierung des Wolfes nachempfinden und findet sich zwischen Loyalität gegenüber Marlene und ihrer Familie wieder.

Jonas ist der Sohn der Hotelarchitektin, neu in der Gegend, irgendwie in Marlene verliebt und Besitzer von Schäferhündin Yuki, die bei Nacht dem Wolf zum Verwechseln ähnlich sieht.

Und Saskia-Matthea ist zu Besuch im Ort, wollte einfach nur dem Skikurs fernbleiben und wurde irgendwie in die Sache verstrickt.

Und dann sind da noch Yuki und Remus. Beide Vierbeiner, beide Fellnasen. Die eine ist die beste Freundin des Menschen, der andere das Wildtier-Pendant zu ihr. Nicht nur, aber auch entlang der Beziehung zwischen Hund, Wolf und Mensch dröselt sich die Handlung auf, die in einer stürmischen Winternacht gipfelt, in der die eine nur knapp, eine andere aber nicht mit dem Leben davonkommt. Agi Ofner wählt für das Zusammenspiel der Perspektiven einen fast staccatoartig anmutenden Wechsel zwischen den Tonalitäten, den sie mit unaufdringlichen Namen- und Ortsangaben strukturiert. Mit sprachlichen Feinheiten und individuellem Vokabular ausgestattet, verleiht sie ihren Figuren Stimmen, die im Zusammenspiel die verschiedenen Standpunkte in puncto Wolf und im jugendlichen Leben ausloten. Als Leser*innen erfahren wir nur einen Bruchteil der individuellen Schicksale der Figuren, es wird dennoch klar, dass jede*r ihr/sein Päckchen zu tragen hat. Genau dadurch und gekoppelt an den rasanten Wechsel der Erzählperspektive entfaltet der Roman eine bestechende Dynamik.

Ebenso verschieden sind die Wolfsillustrationen, die im Text Platz finden: schwarze Tuscheklekse, die ohne System aufs Papier finden, werden von Agi Ofner mit Finelinerlinien oder dickem Pinselstrich zu Wölfen. Mal grimmig, mal friedlich und damit wird der Vierbeiner ebenso vielfältig illustriert, wie er im Fiktionalen gleichermaßen wie im Faktualem gesehen, dargestellt oder inszeniert wird. Faktual anmutende Einschübe strukturieren auch den Text, der in fünf Teilen erzählt wird: zu Beginn eines jeden Teil finden sich Statements zum Wolf. Ob Wirt*in, Schüler*in, Journalist*in oder Wissenschafter*in – jede*r hat etwas zum Thema zu sagen, wodurch auch die polarisierende Kraft deutlich wird.

Der Fokus im Text bleibt aber bei den Jugendlichen und dem Wolf: Während Marlene ein Zelt am Ort des geplanten Hotelbaus aufschlägt, um dort zu verharren – nichtsahnend, dass die Witterungsbedingungen und eine Beinverletzung sie an ihre Grenzen bringen werden – schnappt sich Rudi das Gewehr des Vaters, um den Problemwolf in der Nacht – glücklicherweise erfolglos – zu eliminieren. Jonas und Saskia-Matthea, die beiden Außenseiter*innen, freunden sich währenddessen an und Amal hadert damit, ob sie Marlene bei ihrer Mutter decken soll, als sie abends nicht nach Hause kommt. Ein Schneesturm und kein Handyempfang führen schließlich dazu, dass sich Amal, Jonas, Yuki und Saskia-Matthea aufmachen, um die verletzte Marlene zu suchen. Und im letzten Moment auch noch zu finden – wenn auch nach dem Ende der Nacht mit einem Vierbeiner weniger.

Ohne die Geschichte der einzelnen Figuren auszuerzählen, entsteht dieserart eine Gemeinschaft, deren Perspektiven und Standpunkte in der Sache Wolf zwar nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind, die Entwicklungen innerhalb der erzählten Nacht dennoch dazu führen, dass die Ambiguitätstoleranz geschult wurde. Und dazwischen bleibt Raum für jugendliche Zwischentöne voller Selbstzweifel, Unsicherheiten und dem Wunsch nach Akzeptanz. Nur um dann am Ende zu erkennen, dass nicht nur Wölfe Rudeltiere sind, auch wenn es ab und an einen Alleingang braucht – ob Problemwolf oder nicht. 


* Ambiguitätstoleranz meint dabei die Fähigkeit, mehrdeutige Sachverhalte oder ungewisse Situationen zu akzeptieren, ohne sich dabei bedroht zu fühlen.

 

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